Die Ott-Casts Erklehrvideos®

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A passion for Appassionata

Übung macht den Meister – es braucht aber auch noch mehr.

Samstag, 16. Dezember 2019

Elena Pirisi, eine junge Italienerin, die in München Klavier studiert, spielt in einer Passauer Seniorenresidenz Beethovens Appassionata (Sonate 23, Opus 57). Ich bin anwesend, weil ich seine Musik mag. An diesem Wochenende finden zur Eröffnung des Beethoven-Jahres 2020 deutschlandweit „Hauskonzerte“ statt. Ganz nah an den Menschen, um Beethoven und sein Werk auch mal fern der großen Konzertsäle zu präsentieren. Von der Appassionata hatte ich – zugegebenermaßen – bis zur Anmeldung zu diesem Konzert noch nie etwas gehört.

Es dauert keine 5 Takte, da bin ich gefangen. Gefangen von dem Stück und der Art und Weise, wie Elena Pirisi es vorträgt. Leidenschaftlich, überzeugend. (Ein Video ihres Vorspiels an der Hochschule für Musik und Theater München findet Ihr hier.)

Ich fasse den Entschluss, das Stück im Rahmen meiner Möglichkeiten auch lernen zu wollen: „Das will ich unbedingt auch mal können!“

Montag, 29. September 2014

Sebastian Schmidt, ein junger Mann, der an der Inge-Aicher-Scholl Realschule Neu-Ulm – Pfuhl hauptsächlich Mathematik unterrichtet, hält einen Vortrag zu Flipped Classroom. Ich bin anwesend, weil ich einer der mebis-Koordinatoren unserer Schule bin und ich das „digitale Lehren und Lernen“ mag. Unter anderem mit diesem Vortrag/Workshop wird die mebis-Tagung an der ALP in Dillingen an der Donau eröffnet, bei der Ideen und Methoden für digitalen, innovativen Unterricht präsentiert werden sollen. Vor der Unterrichtsmethode „Flipped Classroom“ hatte ich – zugegebenermaßen – bis zur Anmeldung zu diesem Vortrag noch nie etwas gehört.

Es dauert keine 5 Minuten, da bin ich gefangen. Gefangen von der Unterrichtsmethode und der Art und Weise, wie Sebastian Schmidt sie vorträgt. Leidenschaftlich, überzeugend.

Ich fasse den Entschluss, diese Methode im Rahmen meiner Möglichkeiten auch lernen zu wollen: „Das will ich unbedingt auch mal können!“

In den vergangenen acht Monaten habe ich mich fleißig an der Appassionata probiert. Eins ums andere Mal erkannte ich während dieser Zeit, dass dieser Lernprozess viele Ähnlichkeiten zu meinem Erlernen des „Flippens“ und so mancher digitalen Tools hat. Darüber möchte ich hier schreiben. Es soll kein wissenschaftlicher Blogartikel sein über Lerntheorien, Motivationstheorien und so weiter. Abhandlungen dazu findet Ihr bestimmt zuhauf im Internet.

Und: Es geht mir hier nicht darum zu behaupten, dass ich ein „guter“ Lehrer oder „guter“ Pianist sei. Beides würde ich nicht für mich in Anspruch nehmen wollen, wobei „gut“ ja auch ein relativer Begriff ist. Ich will Euch vielmehr auf persönliche Reisen mitnehmen. Meine noch immer andauernde Reise zu digitalem Unterricht und meine wohl endlose Reise zur Beherrschung der Appassionata.

Zündfunke
Jeder Lernprozess hat einen Zündfunken und ohne Frage ist es besser, wenn dieser Funke ein Brennen in einem hervorruft, wenn es sich um intrinsische Motivation handelt. In beiden Fällen (Appassionata und Flippen) war ich von Anfang an intrinsisch motiviert. Dieses „Das will ich unbedingt auch mal können!“, das Elena und Sebastian in mir erweckten ist nicht mit dem „Ich muss es lernen, weil es geprüft wird“ gleichzusetzen.

Grund
Warum wollte ich die Appassionata erlernen?

Weil mir das Stück gefällt (es wird als die expressivste, virtuoseste, dramatischste und apokalyptischste Sonate Beethovens bezeichnet). Gut, dann könnte ich das Stück aber auch von CD oder auf YouTube anhören.

Ja, aber es selbst zu erlernen und zu spielen ist etwas ganz anderes. Ich habe es in Angriff genommen, da ich die Herausforderung suchte. Ich wollte sehen, ob ich es schaffe: Das Stück zu erarbeiten und auch das Durchhaltevermögen besitze, um erkennbaren Erfolg zu haben.

Warum wollte ich das Flippen erlernen?

Ich spürte von Anfang an, dass der Flipped Classroom und damit auch die digitalen Werkzeuge meinen Unterricht bereichern könnten. Abwechslungsreicher, zeitgemäßer, interessanter und letztendlich vielleicht auch erfolgreicher machen könnten. Aus Schülersicht, aber auch aus meiner eigenen Perspektive. Ich wollte etwas Neues ausprobieren, auch Abwechslung in meinen Berufsalltag bringen. Aus diesen Gründen nahm ich die Herausforderung an.

Vorbilder
Von Anfang an (und auch heute noch) hatte ich Vorbilder, die ich namentlich nicht alle nennen kann. Der eine ist wunderbar produktiv (was die Menge seiner Videos angeht), der andere macht seine Videos besonders pfiffig und unterhaltsam, die andere hat sehr ansprechende Grafiken und Animationen in den Videos, die andere eine wunderbare „Erklärstimme“, der man stundenlang lauschen könnte. Andere wiederrum verstehen es perfekt, Tablets in den Unterricht zu integrieren.

Mein naheliegendstes Vorbild für die Appassionata war Elena Pirisi. Sie war beim Auftritt im Dezember 19 Jahre alt und hatte dieses Stück seit 6 Monaten geübt. Aus diesem Grund schreibe ich diesen Bericht auch zu einem Zeitpunkt, zu dem ich das Stück seit ca. 6 Monaten übe. Einen Daniel Barenboim oder Igor Levit als Vorbilder zu nehmen, wäre für mich vermessen. Beide und viele andere wohnen auf dem Olymp der Pianisten, sind unerreichbar. Elena ist für mich auch weit weg, aber was sie und mich verbindet: Auch sie befindet sich noch in der „Ausbildung“. Zwar definitiv in einer höheren Liga als ich, aber auch sie ist noch nicht perfekt. Noch nicht.

Vorbilder sind für mich wichtig, da sie mich motivieren, am Ball zu bleiben, wenn ich durchhänge, mal keinen Schwung habe oder ich mich frage, ob ich das gesetzte Ziel überhaupt erreichen kann. Ein Vorbild zu haben bedeutet auch nicht, dass man diese Person oder ihre „Werke“ 1:1 kopieren soll und muss. Sie sind für mich die Zielgröße, die mir sagt, so gut wie er dieses oder jenes macht, will ich es nach Möglichkeit auch können.

Bedenken
Sämtliche meiner flippenden Vorbilder sind deutlich jünger als ich und auch deshalb fragte ich mich lange unbewusst, ob ich solche „Sachen“ in meinem Alter überhaupt noch lernen könnte. (Danke Sonja, dass Du mir diese Frage charmant bewusst gemacht hast.) „Wie erstelle ich denn überhaupt ein Video?“ „Welche Technik benötige ich dazu?“ „Wie schneide ich ein Video?“ „Wie kommt das Video in Youtube?“ „Brauche ich eine Website und wie erstelle ich überhaupt eine???“

(EDV-)technisch interessiert bin ich ja, aber diese Fragen stellten mich zunächst vor größere Probleme. Dank der Unterstützung eines wachsenden Netzwerkes konnte ich all diese Fragen jedoch recht bald beantworten. Mehr dazu im folgenden Absatz.

Weitere Fragen, die sich mir (zum Glück nur anfangs stellten): „Was, wenn meine Kolleginnen und Kollegen diese Videos sehen?“, „Was werden sie denken?“, „Halten Sie mich für einen Wichtigtuer oder eher für einen Nerd?“ „Ist dem Ott denn nichts peinlich?“ „Was, wenn ich etwas schlecht erkläre?“, „Ist meine Stimme gut genug für Erklärvideos“ oder auch: „Sind die Videos überhaupt gut genug aufgebaut/animiert, um hilfreich zu sein?“

Auch beim Einsatz digitaler Tools im Unterricht (z. B. Graspable Math, OneNote oder Audacity) hatte ich zunächst die große Sorge, dass ich mich blamieren könnte, wenn die Technik im Klassenzimmer versagt, unvorhergesehene Probleme auftreten. Oder aber auch, dass ich mit einem Tool wie z. B. Kahoot!, nur ein müdes Lächeln anstatt eines erfreuten Strahlens hervorrufen könnte.

Beim Erlernen der Appassionata hatte ich ähnliche Bedenken: „Schaffe ich es als Klavier-Wiedereinsteiger überhaupt, dieses Stück auch nur in Bruchteilen zu erlernen?“, „Bin ich nicht schon zu alt für ein solches Werk?“; „Was, wenn es alles nicht zum Erfolg führt und nur eine immense Zeit- und Energieverschwendung wird?“

Hilfen
Wer etwas Neues lernen möchte oder muss, benötigt immer wieder größere oder kleinere Hilfen.

So kaufte ich mir die Noten der Appassionata in einer Version mit Fingersatz. Der gibt an, mit welchem Finger man am besten auf welche Taste greift, um so schnell auf die nächste Taste umgreifen zu können. Diese Fingersätze sind jedoch lediglich Empfehlungen, die einem vor allem schnelle Läufe erleichtern sollen.

Ich habe mir mehrere Aufnahmen der Appassionata auf YouTube oder CD angehört und miteinander vergleichen: Wie schnell spielt dieser Pianist diesen Lauf, wie lange hält er diese Pause? Im Video konnte ich sehen, dass Elena Pirisi den Lauf über drei Oktaven ab Takt 14 mit zwei Händen spielt, Daniel Barenboim spielt ihn mit einer Hand. Ich spiele ihn (aktuell) mit einer Hand, das ist für mich und das Tempo, mit dem ich den Lauf aktuell spielen kann, machbar. Und das ist dann auch eher das Tempo, in dem Glenn Gould das Stück spielte.

Auch beim Erlernen des Flippens oder digitaler Tools konnte ich mich auf zahlreiche Hilfe verlassen. Es ist mir unmöglich, alle Personen zu nennen, die mir in den vergangenen sechs Jahren mit Rat zur Seite standen oder mich auf neue Ideen gebracht hatten. Der monatlich stattfindende ICM-Chat bot ebenfalls viele Anregungen: Flipper aus dem deutschsprachigen Raum (aber auch einmal Steve Kelly aus den USA) berichteten über ihren geflippten Unterricht und standen dann in einer Diskussion Rede und Antwort. (Nachdem ich selbst ein kleiner Flipper geworden war, durfte ich meinen geflippten Unterricht auch einmal im ICM-Chat vorstellen. Kurze Zeit später stieg ich in die Moderation des Chats ein, hatte u.a. die damalige Präsidentin der Uni Passau zu Gast.)

Im Juli 2016 meldet ich mich bei Twitter an, um so mitlesen und mitdiskutieren zu können, wenn Kolleginnen und Kollegen unter dem Hashtag Twitterlehrerzimmer (#twitterlehrerzimmer) von ihren Unterrichtserfahrungen berichteten. Gleichsam wird Twitter genutzt, um der Community Fragen zu stellen, wenn man selbst ein technisches/methodisches/didaktisches Problem hat. Diese Vernetzung über Twitter hat mir in den letzten Jahren sehr viel wertvollen Input gegeben. So manches hilfreiche Tool und seine Einsatzmöglichkeiten hätte ich nicht (so frühzeitig) kennengelernt. Ich schätze diesen schulartübergreifenden, kollegialen Austausch über Landesgrenzen und Hierarchieebenen hinweg.

Geduld/Konsequenz
Viele hundert Stunden habe ich bislang an der Appassionata gearbeitet. Ja, gearbeitet. Gerade für einen Klavier-Wiedereinsteiger wie mich ist es recht mühsam, Noten, die auf der dritten, vierten oder gar fünften Hilfslinie (oder den jeweiligen Zwischenräumen) stehen, schnell lesen zu können. Immer wieder hielt ich inne, zählte die Noten ab. Schnelle Läufe in Sechzehnteln erarbeitete ich zunächst im Schneckentempo, Note für Note, so langsam, dass von einen Lauf gar keine Rede sein konnte. Es war mehr eine unrhythmische Aneinanderreihung von Tönen mit teilweise längerer Pause dazwischen. Immer wieder übte ich diese Läufe, erst nach vielen Wiederholungen wagte ich mich daran, ein Metronom mitlaufen zu lassen. Und ganz allmählich konnte ich das Tempo in Richtung Vorgabe durch den Komponisten steigern. Im Übrigen habe ich die Appassionata häppchenweise erarbeitet, mir also diejenigen Teile (manchmal nur wenige Takte) herausgesucht und geübt, die relativ einfach aussahen. Erst nach und nach habe ich andere Abschnitte in Angriff genommen.

Auch die Erstellung der ersten Erklärvideos erforderte viel Geduld. Die zugrunde liegenden Powerpointpräsentationen musste ich erstellen und dabei Funktionen nutzen, mit denen ich bislang nicht gearbeitet hatte. Doch von Mal zu Mal ging es schneller, da ich dann ja bereits wusste, wie man zum Beispiel vertikale Abstände vereinheitlicht. Mittlerweile habe ich für viele Folienlayouts Vorlagen, die ich mit den jeweiligen Überschriften oder Tabelleninhalte fülle. Das hat der Vorteil, dass die Erstellung der Präsentation schneller geht und zweitens diese Präsentationen ähnlich aussehen und so einen Wiedererkennungswert besitzen.

Auch die Aufnahme der Videos erforderte Geduld. Welches ist der optimale Standort des Mikrofons und welche Richtcharakteristik (nierenförmig, omnidirektional, bidirektional oder stereo) nutze ich am besten? Wie hoch soll der Inputlevel sinnvollerweise sein. Das findet man nur durch Experimentieren und Vergleichen mehrerer Aufnahmen raus.

Viel Übung erforderte auch der Videoschnitt. Zunächst arbeitete ich mit Screencast-o-matic und mit dem Microsoft MovieMaker. Als ich diese kostenlosen Tools beherrschte, stellte ich fest, dass ich mit Camtasia (von der Firma Techsmith) bessere, ansprechendere Videos erstellen konnte. Also habe ich mich in dieses System eingearbeitet und beherrsche nach und nach sämtliche für mich relevanten Funktionen.

Gleiches gilt für Tools wie LearningApps oder OneNote. Durch die regelmäßige Arbeit mit diesen Programmen bin ich zum Glück mittlerweile in der Lage, sie zügig zu bedienen ohne lange überlegen zu müssen, wo ich als nächstes klicken muss.

Aber auch hier gilt: Ich habe mit Tools begonnen, die mir beherrschbar erschienen (wie zum Beispiel den Learning Apps). Im Gegensatz dazu habe ich mich von Geogebra bislang ferngehalten…

Rückblick
Seit mehr als acht Monaten übe ich die Appassionata. Wenn ich zurückblicke, frage ich mich, ob die viele in das Üben investierte Zeit sich gelohnt hat. Ja, das möchte ich behaupten. Ich kann das Stück zwar noch immer nicht: weder ganz, noch gut, aber ich habe für mich festgestellt, dass ich mit Übung und Zeit einem Ziel näher gekommen bin, das ich zunächst für völlig unmöglich hielt. Damals, am 16. Dezember 2019, nach Elena Pirisis Konzert hatte ich zur Heimleiterin gesagt: „So schnell wie Elena richtig spielt, kann ich noch nicht einmal falsch spielen!“. Nun, mittlerweile schon. Manche Teile kann ich zwar nicht sonderlich schnell, doch zumindest halbwegs fehlerfrei spielen, manchmal jedenfalls. Und mit jedem Tag des weiteren Übens wird es auch besser.

Seit ca. 6 Jahren flippe ich Teile meines Unterrichts. Ich habe ca. 80 Erklehrvideos erstellt, die meine Schülerinnen und Schüler hoffentlich hilfreich finden. Die Kommentare auf YouTube zu den Videos zeigen, dass auch mir unbekannte Schülerinnen und Schüler oder gar Studentinnen und Studenten diese Videos schauen und auch mögen. Insofern hat der Zeitaufwand etwas gebracht. Den anderen. Mir hat er auch etwas gebracht. Mit den Videos bin ich im Großen und Ganzen zufrieden, wie beim Klavierspiel denke ich mir gelegentlich: „Das hätte jetzt aber schon etwas besser laufen können!“. Aber es genügt: ich setze die Videos regelmäßig im Unterricht ein und auch der eine oder andere Professor verwendet sie (und Folien daraus) in seinen Vorlesungen.

Die spannende und relevante Frage lautet aber: Sind die Noten meiner Schülerinnen und Schüler durch den Einsatz der Videos oder der digitalen Tools (LearningApps, Padlets, …) besser geworden? Diese Frage ist unmöglich zu beantworten, da es keine Vergleichsgruppe gibt. Selbst die Parallelklassen können hierfür nicht herangezogen werden, da sie von anderen Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet werden und in diesen Klasse ja auch ganz andere Schülerinnen und Schüler sitzen. Aber: durch diese Videos und Tools haben die Schülerinnen und Schüler – so hoffe ich – einen Geschmack von zeitgemäßem Lehren und Lernen bekommen, um so an Uni oder Fachhochschule nicht überrascht zu sein, wenn dort geflippt oder digital gelehrt wird. Und: Die coronaverursachten Veränderungen im Schulbetrieb (Distanzlernen, Lernplattformen, Erklärvideos, …) lassen mich vermuten, dass ich meine Schülerinnen und Schüler in den vergangenen Jahren nicht ganz schlecht auf diese Veränderungen vorbereitet hatte.

Fazit
Wenn Du etwas erlernen möchtest, so nimm Dir Vorbilder und Zeit. Übe Dich in Geduld und Nachsicht mit Dir selbst. Niemand ist perfekt. Der Weg ist das Ziel. Also erfreue Dich daran.

Und so klingt es aktuell (21. Juli 2021):

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